Die Geschichte des Altars

Schriftliche Zeugnisse über Auftragserteilung, Visierung, Bezahlung, Schnitzer oder Herstellungsort des Retabels sind nicht überliefert. Die dendrochronologische Untersuchung des Eichenholzes hat als Fällzeitraum 1499-1509 ergeben, das macht die Entstehung des Retabels um das Jahr 1505 wahrscheinlich.

Da Schortens zu Bistum Bremen gehörte, wird eine Bremer Schnitzwerkstatt vermutet. Der Schrein könnte hier vor Ort hergestellt worden sein, die Reliefs wurden wohl auf dem Wasserweg über Weser, Nordsee, Jade, Maade, Schortenser Leide angeliefert und in die vorbereiteten Fächer des Schreins eingefügt.

1505 Der Schreinhintergrund war mit Blattgold belegt und punziert; Konsolbänkchen Maßwerk und Säulchen waren ebenfalls vergoldet, blau und rot abgesetzt. Die Gewänder waren blau, rot, grün, weiß, Gesichter und andere Körperteile inkarnat gefasst. Von der roten Fassung der Seitenwände haben sich Reste unter den folgenden Übermalungen erhalten.

1666 Eine Inschrift in der Predella besagt: Anno 1666 hat Johann Günther Tormin dies Altar zur Ehre Gottes reparieren lassen. Tormin, Schwiegervater des amtierenden Pastors primarius Hermann Tilling, finanzierte die Umwandlung des farbenfrohen vorreformatorischen Retabels in ein zurückhaltend evangelisch-lutherisches: Die Polimentvergoldung des Hintergrunds wurde entfernt und durch eine blau-schwarze Bemalung ersetzt, die Reliefs einfarbig weiß überfasst, mit Gold, Schwarz, Rot und Grün abgesetzt. Dasselbe geschah mit Podesten, Maßwerk und Säulchen. Die bis dahin ungefasste Predella wurde in sieben Fächer unterteilt. Im mittleren Fach verewigte sich Tormin, in den beiden äußeren ist - ganz in Luthers Sinn - die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt durch den Pastor bildlich dargestellt, die restlichen vier Fächer enthalten die Einsetzungsworte hochdeutsch. Die Rückseite des Altarschreins erhielt eine Bemalung mit grauen Arabesken auf rotem Grund. Graf Anton Günther von Oldenburg, der lutherische Herr des Jeverlandes, der die Renovierung möglicherweise finanziell unterstützt hat, ließ auf dem Retabel eine von zwei heraldischen Löwen gehaltene Tafel anbringen mit dem Bibelvers Matth 5.16 und seinem Wappen.

1871 wurde, wohl im Hinblick auf eine geplante Restaurierung, der schwarze Schreinhintergrund hellblau-marmoriert übermalt.

1898 war der Zustand des Retabels unhaltbar geworden, weil die beiden übereinanderliegenden Farbfassungen aus Gotik und Barock sich schollenförmig vom Untergrund ablösten. Da auch der konsultierte Professor Adelbert Matthaei, Inhaber des 1893 gegründeten Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Universität Kiel, keinen Rat wusste, gab die Gemeinde dem ortsansässigen Maler Schäfer den Auftrag, „den Altarschrein von allen Farben zu reinigen.“ Schäfer beizte alle Reliefs gründlich ab, danach wurden sie grundiert und einfarbig braun überfasst. Dieser Zustand - braune Reliefs vor hellblauem Hintergrund - hielt genau 35 Jahre.

1933 empfahl der Regierungsbaumeister Dr. Biebel aus Oldenburg “…im Sinne einer guten Denkmalpflege die sorgfältige Entfernung des häßlichen glänzenden blauschwarzen Ölfarbenanstrichs von allen Figuren“ mit der Begründung, das nackte Holz sei entschieden wirksamer als der jetzige schmierige Anstrich. Nach dieser zweiten Laugenbehandlung wurden die Reliefs mit einer farblosen Beize überzogen.

1953 wurdedas Retabel aus Anlass der 800-Jahrfeier der Kirche etwas herausgeputzt. Die nicht mehr zeitgemäß erscheinende Tafel mit Bibelvers oben auf dem Schrein wurde abgenommen und im Turm gelagert. Später gelangte sie ins Schlossmuseum in Jever. Den Schreinhintergrund übermalte man dick mit hellblauer Binderfarbe, das Maßwerk wurde ölvergoldet und alle Reliefs mit einem aufhellenden Reinigungsmittel behandelt. Die darin enthaltene Oxalsäure führte in den Folgejahren in Verbindung mit der im Holz gespeicherten Lauge zu Salzausblühungen, so das­­­s ein entstellender Grauschleier alle Figuren überzog.

1973 erhielt die Kirche eine Gasheizung. Durch die stoßweise auftretende Wärme bei Gottesdiensten und Feiern trocknete das Holz aus, es bildeten sich Spalten zwischen den rückwärtigen Schreinbrettern, aus den Reliefs lösten sich nicht mehr fest verleimte Einzelteile und fielen herab.

1998 entdeckte Ingeborg Nöldeke nach intensiver Suche in der gedruckten Literatur einige der Kupferstiche aus der Serie der „Kleinsten Passion“ des Israhel van Meckenem, die dem Schnitzer des Schortenser Retabels als Vorbilder gedient haben. Der Goldschmied und Kupferstecher Israhel van Meckenem (1445-1503) hat eine zu seiner Zeit mehrfach existierende Serie von 55 Stichen aus Heiligenlegenden sowie dem Leben von Maria und Jesus „abgekupfert“, d.h. neu in Kupfer gestochen und vervielfältigt. Die kleinformatigen Drucke (50x70 cm) dienten als Arbeitsvorlagen für Goldschmiede, wurden aber auch von Holzschnitzern als Vorlagen für Altarreliefs genutzt und von Pilgern als Andachtsbilder gekauft. Der Kunsthistoriker Max Lehrs (1855-1938) hat sämtliche Stiche des Israhel von Meckenem erfasst und mit Nummern versehen (z. B. L.37). Die Kupferstichkabinette Preußischer Kulturbesitz in Berlin und Germanisches Nationalmuseum in Nürnberg stellten Fotos aller 24 Kupferstiche zur Verfügung. Eine Vorlage für die Kreuzigungsszene im Mittelschrein wurde nicht gefunden.

Weihnachten 2000 bis Ostern 2001 reinigte die Firma Ochsenfahrt aus Paderborn alle Reliefs von der Salzschicht, fehlende Teile wurden anhand der Kupferstiche ergänzt. Der Schreinhintergrund erhielt eine Fassung, die dem intakt unter den Übermalungen erhaltenen barocken Schwarz ähnelt, die Rahmen wurden gotisch-rot gestrichen. Maßwerkschleier und Podeste wurden ausgebessert und - wie im Barock - weiß, rot und grün gefasst. Die neu konzipierte Fassung der Reliefs aus unterschiedlichen Holztönen ergänzt das in der nachreformatorischen Ausstattung der Kirche vorherrschende Farbspektrum. Gesichter und unbedeckte Körperteile leuchten in hellem Inkarnat. Die Schrifttafel von Graf Anton Günther hat wieder ihren alten Platz oben auf dem Schrein eingenommen.